Produkte der Chemiebranche markieren oft den Start vieler Wertschöpfungsketten. Ob Chips für Smartphones oder Computer, Baustoffe für Gebäude oder Flüssigkristalle für Fernsehbildschirme – sehr viele Alltagsgegenstände basieren auf chemischen Basisprodukten. Es gibt daher auch kaum einen Bereich unseres Lebens, der nicht in irgendeiner Form von der Chemieindustrie beeinflusst wird.
Und es sieht so aus, als würde dies auch in Zukunft so bleiben, denn die Chemiebranche wächst weiter. Der Umsatz des drittgrößten deutschen Industriezweigs soll dieses Jahr um 3,5 Prozent auf 191,2 Milliarden Euro ansteigen. Grund dafür sind neben anderen Faktoren die steigenden Chemikalienpreise und die zunehmende Nachfrage nach Chemieprodukten. Auch die langfristige Perspektive ist vielversprechend: Nach Berechnungen des Verbands der Chemischen Industrie steigt die deutsche Chemieproduktion bis 2030 etwa um 1,5 Prozent pro Jahr. Gute Nachrichten einerseits, andererseits fordert der weltweite Wettbewerb ein immer höheres Innovationstempo. Deshalb möchte die Branche den technologischen Fortschritt weiterhin vorantreiben und die Chancen der Digitalisierung nutzen.
Die starke Vernetzung der Industrie spielt dabei positiv in die Karten. In deutschen Chemieparks profitieren beispielsweise verschiedene Unternehmen aus der Branche von Synergie- und Verbundeffekten durch eine zentral gesteuerte Infrastruktur. So kann die Effizienz der Produktion gesteigert werden, indem ein einzelner Standortbetreiber sich um einen Großteil der Services kümmert. Auch die Standortlogistik gehört dabei zum Aufgabenbereich des Chemiepark-Betreibers. Neben der Lagerhaltung der Rohstoffe, Vorprodukte und Fertigerzeugnisse, muss auch die Koordination von Wareneingängen und -ausgängen berücksichtigt werden. Hinzu kommen die speziellen Anforderungen der Chemielogistik, wie die Abfertigung von Gefahrguttransporten oder die Verwiegung der Fahrzeuge. Auch Raffinerien, die als Zulieferer der Chemieparks fungieren, haben diese komplexen Anforderungen an ihre Logistik. Ein Beispiel für die hohe Komplexität der Prozesse ist die H&R ChemPharm GmbH.
Ein gutes Beispiel für die komplexe Chemielogistik: H&R ChemPharm GmbH
Kommt hier beispielsweise ein leerer Mehrkammer-Tankwagen auf das Raffinerie-Gelände im niedersächsischen Salzbergen, hat er mehrere Runden über das weitläufige Gelände mit etwa 200 Behältern und 200 Tanks vor sich. Dabei muss er für jedes mineralölbasierte Produkt, das er mitnimmt - im nachfolgenden Beispiel Industrie- und Autoschmierstoffe - einen Multistopp-Parcours durchlaufen.
Nach der Anmeldung im Versand geht es zur zentralen Tankwagen-Kontrolle, wo die Tanks auf Sauberkeit kontrolliert werden. Über eine Waage, die das Leergewicht misst, lenkt der Fahrer seinen Lkw dann zu der Verladestelle. Bevor er mit dem gefüllten Tank nochmal über die Waage fährt, damit durch die Gewichtsdifferenz die genaue Lademenge dokumentiert werden kann, muss er noch einen Stopp an der Probenahmestelle einlegen. Hier wird eine Probe genommen und zur Qualitätsprüfung ins Labor geschickt. Dieser Prozess wird für jede weitere Tankkammer wiederholt. Erst wenn das Labor die Qualität aller geladenen Produkte bestätigt hat, kann der Transport dann zum Kunden starten.
In Salzbergen werden so 60 Fahrzeuge täglich über das Gelände gesteuert. Mehr als 700 Produkte an fünf Stationen, die über 13 teils parallele Beladespuren verfügen, werden dabei verladen. Außerdem gibt es neun weitere Entladestellen für das Leeren der Tankwagen von Einsatzkomponenten.
Eine schwierige Aufgabe
Es wird deutlich, dass die hohe Komplexität der Prozesse eine manuelle Steuerung der Tankwagen nahezu unmöglich macht. Lange Durchlaufzeiten und intensiver Personaleinsatz waren bei H&R ChemPharm die Folge. Es fehlte die nötige Transparenz, um zu erkennen, warum Staus entstanden.
Ein derartig komplexer Prozess wie in Salzbergen kommt in der Chemiebranche häufig vor. Zur Erinnerung: Der Prozess beinhaltet die Planung von 60 Tankwagen pro Tag, 13 Verladespuren, 9 Entladestationen, 5 Waagen, eine zentrale Tankwagenkontrolle und Probenahmestelle. Hinzukommen verschiedene Randbedingungen.
Dass sich H&R ChemPharm mit den Folgen dieser Situation nicht abfinden wollte, ist verständlich. Das Unternehmen setzte sich daher neue Ziele: die Tankwagen im Werk intelligent zu steuern, die Prozesstransparenz zu steigern, Warte- und Durchlaufzeiten zu reduzieren und die personellen sowie technischen Ressourcen effizienter einzusetzen.
Die Lösung – Intelligentes Zeitfenstermanagement und Zulaufsteuerung
Um die Kommunikation mit den Spediteuren zu vereinfachen, nutzt H&R ChemPharm jetzt ein intelligentes Zeitfenstermanagement. Mit dessen Hilfe können die Tankwagen schon vor dem Eintreffen im Werk optimal geplant werden. Denn mit Zeitfenstermanagement-Systemen können vorab Slots gebucht und vergeben werden. Das führt einerseits zu kürzeren und verlässlicheren Durchlaufzeiten für Spediteure und somit stabileren Transportplänen, andererseits wird für eine gleichmäßige Auslastung aller Verlade-Ressourcen im Werk gesorgt. Außerdem werden geringere Standgelder und Frachtraten sowie höherer Durchsatz erreicht.
Basierend auf diesem Zeitfenster-Plan kann dann eine intelligente Zulaufsteuerung ansetzen. Diese prüft den Zeitfensterplan nach jedem Ereignis und berechnet in Echtzeit einen neuen Lkw-Abfertigungsplan für die veränderte Situation unter Berücksichtigung der relevanten Rahmenbedingungen. So hilft sie unvorhersehbare Ereignisse wie verspätete Lkw oder dringende Spontanlieferungen optimal in die Planung zu integrieren.
Fazit
Eine effiziente Ein- und Ausgangslogistik ist eine komplexe Aufgabe. Gerade in der Chemieindustrie kommen viele weitere Randbedingungen hinzu, die eine manuelle Planung extrem erschweren. Intelligentes Zeitfenstermanagement und eine darauf aufbauende Lkw-Zulaufsteuerung führen zu kürzeren Durchlaufzeiten, weniger Staus und einer schnelleren Abwicklung im Werk, verbesserter Ressourcenauslastung und letztendlich zu einer Kostenreduktion und einer sicheren Produktionsversorgung. Auch in der Praxis hat sich die Kombination von Zeitfenstermanagement und Zulaufsteuerung in der Chemiebranche bereits bewährt, um die Komplexität der Prozesse zu meistern.
Laut Prognosen bleibt Deutschland auch in Zukunft einer der bedeutendsten Chemiestandorte der Welt. Wenn die Logistik gut aufgestellt ist und auf fortschrittliche Technologien setzt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Prognosen auch eintreffen.