PREDICTIVE MAINTENANCE – WIRKLICH SINNVOLL?
10.07.2019 // Björn Heinen
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In der fertigenden Industrie hört man den Begriff Predictive Maintenance seit einiger Zeit bei vielen Kongressen, Werbeveranstaltungen und Webinaren. Die Idee ist simpel: Anstatt eine Maschine laufen zu lassen bis sie kaputtgeht und unplanmäßig die Produktion stilllegt, prognostiziert man mittels selbstlernender Algorithmen (auch Machine Learning genannt), wann sie aller Wahrscheinlichkeit nach ausfallen wird und wartet sie vorher, zu einem günstigeren und planbaren Zeitpunkt. So erhöht man die Maschinenauslastung, die Terminzuverlässigkeit, entgeht möglichen Vertragsstrafen, et cetera.
Es gibt mehrere Ansätze, Predictive Maintenance zu betreiben, auf die ich im Folgenden noch zu sprechen komme. Eines haben diese Ansätze gemein: Um in die Zukunft projizieren zu können, brauchen sie eine aussagekräftige Historie. Egal, welchen der Ansätze man verfolgt, man muss immer für einen belastbaren Zeitraum folgende Frage beantworten können: Welche Maschine hat wann gearbeitet, planmäßig oder unplanmäßig stillgestanden?
Wie der Algorithmus lernt
Wie lange ein Zeitraum sein muss, damit er als belastbar gilt, hängt vom Einzelfall ab. Die beiden Hauptfaktoren sind hier die Anzahl baugleicher Maschinen(komponenten) und deren Fehleranfälligkeit. Wichtig ist, hinreichend häufig beobachtet zu haben, dass eine Maschine kaputtgeht, nur so kann der Algorithmus abstrahieren beziehungsweise lernen. Wenn in der gesamten Historie, aus welcher der Algorithmus lernen soll, keine einzige Maschine einen Defekt hatte, wie soll der Algorithmus dann lernen vorherzusagen, wann Maschinen für gewöhnlich gewartet werden sollen? Analog: Wenn beispielsweise in der Historie immer nur die Fräsmaschine mit Schäden auftaucht, der Schweißroboter aber nie einen Schaden hatte, dann kann für die Fräsmaschine eine Vorhersage getroffen werden, für den Schweißroboter aber nicht.
Hat man diese Historie aufgebaut, ist der erste Ansatz für Predictive Maintenance sehr simpel: Man berücksichtigt nur die Betriebsdauer als Berechnungsgrundlage. Maschine X geht im Durchschnitt nach Y Stunden kaputt, also wird sie vorher gewartet. Dieser Ansatz ist unkompliziert, benötigt wenig Daten, hat aber auch einen Nachteil: Er ist nicht besonders zuverlässig. Ein gleitender Mittelwert spiegelt nicht wirklich die Komplexität wider, die hinter einer dauerhaft betriebenen Maschine steckt. Besser ist es also, Maschinendaten ebenfalls zu berücksichtigen, im Allgemeinen sind das Sensordaten und Systemparameter. Eine moderne Maschine produziert viele Daten, die genutzt werden können. Stromverbrauch, Volumenströme, Temperaturen, Widerstände und viele weitere Indikatoren werden erfasst und ermöglichen ein präzises Bild über den Zustand der Maschine. Voraussetzung ist, auch hier zu wissen, wie diese Daten in der Historie ausgesehen haben, um Zusammenhänge zwischen Maschinendaten und Maschinenzustand berechnen zu können. Eine weitere Möglichkeit, die Genauigkeit von Predictive Maintenance zu erhöhen, besteht darin, die vorhandenen APS-Informationen zu berücksichtigen. Ist innerhalb der nächsten zwei Wochen kein Arbeitsgang auf der Maschine geplant, wird sie in diesem Zeitraum nicht kaputtgehen. Außerdem bietet sich dieses Fenster hervorragend für eine Wartung an.
Die Voraussetzungen für erfolgreiche Predictive Maintenance
Kommen wir zum Titel dieses Beitrags: Ist Predictive Maintenance wirklich sinnvoll? Grundsätzlich auf jeden Fall, aber es müssen gewisse Rahmenbedingungen erfüllt sein, die in manchen Unternehmen tatsächlich so nicht ganz vorzufinden sind. Nehmen wir zur Veranschaulichung ein Extrembeispiel; ein Unternehmen mit 100 unterschiedlichen Maschinen in der Fertigung. Diese werden entsprechend Herstellerempfehlung gewartet und im Durchschnitt sind dennoch zehn Maschinen pro Jahr defekt. Das würde bedeuten, dass zehn Jahre Historie vonnöten wären, um für jede Maschine wenigstens einen Schadensfall zu beobachten, aus dem der Algorithmus lernen könnte – ein unrealistisch großer Zeitraum, der dennoch nicht hinreichend viele Informationen generiert. Hinzu käme das Datensammeln für MDE- und APS-Daten über denselben Zeitraum. Für dieses Unternehmen lohnt sich der Einsatz von Predictive Maintenance also nicht. Lohnen kann er sich hingegen für Unternehmen, die häufiger denselben Maschinentyp im Einsatz haben, bei denen Maschinen häufiger ausfallen oder für solche Unternehmen, die Maschinen selbst herstellen und Predictive Maintenance nicht (nur) für ihre eigene Produktion nutzen wollen, sondern für die Maschinen, die sie selbst verkaufen. Für die Maschinen, die ein Unternehmen verkauft, kann es selbst bestimmen, welche Daten erhoben werden, die Vergleichbarkeit der Daten ist implizit gegeben und das Sammeln geht viel schneller, da im Optimalfall die Daten von vielen Maschinen eines Typs direkt verfügbar sind.
Ob der Mehrwert eines Predictive Maintenance-Projekts die Komplexität rechtfertigt, hängt also von vielen Faktoren ab und muss dementsprechend im Einzelfall geprüft werden. Insbesondere die Natur des Anwendungsfalls und die vorhandenen Daten sind hier entscheidend.
ÜBER UNSERE EXPERT:INNEN
Björn Heinen
Lead Data Scientist
Björn Heinen arbeitet seit 2017 bei INFORM im Bereich Data Science. Als Lead Data Scientist beschäftigt er sich sowohl mit internen Projekten, bei denen bestehende INFORM-Produkte um Machine-Learning-Funktionalitäten erweitert werden, als auch mit externen Projekten, die er von der Ausarbeitung über die Implementierung bis zur Integration begleitet.