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VORBILD TIERWELT: DAS KOLLEKTIV PLANT BESSER

11.08.2014 // Ludger Schuh

Wenn Facharbeiter dazu im Stande wären, das 60-fache ihres eigenen Körpergewichtes zu stemmen, dann könnte ein durchschnittlicher, 70 kg schwerer Mann über vier Tonnen schultern. Das würde in der Praxis etwa so aussehen: Der Lagermitarbeiter könnte mit bloßen Händen etwa 4 Lagerameisen (die jeweils ungefähr eine Tonne wiegen) oder zwei Nashörner über seinem Kopf durch die Lagerhallen befördern. Das klingt unmöglich? Eine Ameise wiegt nur zwischen 7 und 10 Milligramm und kann genau das im Verhältnis zu ihrem Eigengewicht leisten.

Solche Körperkräfte würden einige Intralogistikprozesse schwer beschleunigen und das ganz ohne die Hilfe von Robotern oder anderen Automatisierungslösungen. Was jedoch noch wichtiger ist als pure Kraft, ist eine gezielte Kommunikation. Ameisen haben ihre Kommunikation so perfektioniert, dass sie uns als Lehrmeisterinnen für Logistik-Prozesse dienen könnten. Wenn sich die kleinen Tierchen auf Futtersuche begeben, orientieren sie sich an Pheromonen, die vorangegangene Arbeiterinnen entlang des Weges ausgeschüttet haben. Die Wege, die dabei die stärkste Pheromonkonzentration gegenüber anderen Spuren aufweisen, sind die kürzesten, da an diesen Stellen besonders viele Ameisen Futter transportiert und ihren Duft hinterlassen haben. Das Ergebnis sind jene Ameisenstraßen, die wir in der Natur bewundern können.

Sie sind ein Sinnbild für funktionierende Schwarmintelligenz, denn durch dieses Zusammenwirken vieler Akteure konnte eine bessere Effizienz und damit insgesamt eine höhere Leistung erreicht werden. Das Vorgehen der Ameisen hat bereits als Ameisenalgorithmus Einzug in die Kombinatorik gefunden und wird z.B. zur Lösung des Traveling-Salesman-Problems (TSP) verwendet, welches auch auf die Logistik angewandt werden kann. Das TSP beschreibt die Herausforderung, den kürzesten Weg zwischen einer Menge von Wegpunkten zu finden und tritt z.B. bei der Tourenplanung auf.

Die Intelligenz im Kollektiv ist auch für die integrierte Planung in der Supply Chain die ideale Basis. Grundsätzlich agieren die Entscheidungsträger aller Logistik-Teilbereiche wie Beschaffung, Produktion, Distribution und Vertrieb in ihrem abgegrenzten fachlichen Umfeld und verfolgen damit primär eigene Ziele. Diese müssen alle aufeinander abgestimmt sein, da die einzelnen Teilbereiche sich nicht nur ergänzen, sondern voneinander abhängig sind. Auch die Arbeiterinnen im Ameisenvolk haben jeweils ein eigenes Ziel, doch ohne die Abstimmung untereinander würde mehr oder weniger Chaos ausbrechen. Nur als kollektive Intelligenz ist es den Ameisen möglich, den verkürzten und damit effizientesten Weg zur Nahrungsquelle zu finden.

Doch nicht nur Ameisen profitieren vom Leben im Kollektiv: In Schwärmen lebende Fische finden schneller Nahrung und sind besser gegen Fressfeinde geschützt. In einem Versuch wurde z.B. ermittelt, wie gut einzelne Fische im Vergleich mit Schwarmfischen einem gut getarnten Meeresräuber ausweichen können. Einzelne Fische entschieden sich nur in 56 Prozent der Fälle richtig, während der Schwarm in 90% der Fälle richtig lag. Und dies darüber hinaus in der halben Zeit gegenüber der Einzelentscheidung.

Quelle: Planet-Wissen.de

In beiden Fällen kann das Kollektiv sowohl bei Fischen als auch bei Ameisen optimale Ergebnisse erreichen. Auch Bienen und Vögel verhalten sich entsprechend: sie sind durch aufeinander abgestimmtes Verhalten im Schwarm erfolgreicher als alleine. Was für die Tierwelt gilt, gilt auch für Unternehmen: Nicht nur im Wald und auf den Wiesen, sondern auch in Bürogebäuden und Lagerhallen muss integriert geplant werden. Vor allem für das Lösen komplexer Aufgaben und die Optimierung von Routen ist die Schwarmintelligenz der Tiere ein großes Vorbild.

Aus diesem Grund widmet sich auch die Wissenschaft zunehmend der Logistik der Tiere: So übertragen etwa Forscher am Fraunhofer-Institut für Materialfluss das Konzept der Schwarmintelligenz auf die Logistik und simulieren dies mit fahrerlosen Transportfahrzeugen, die sich, wie in einem Fisch-Schwarm angeordnet, selbstständig ihre Aufgaben und ihren Weg suchen. Ziel ist es, flexibler auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können und logistische Versorgungsketten energiesparender zu gestalten.

Der Ort, der heute jeder logistischen Planung zugrunde liegt, ist natürlich keine Waldwiese und auch kein Weltmeer. Im 21. Jahrhundert sind logistischen Prozessen keine geographischen Schranken mehr gesetzt - die Logistik ist komplett entgrenzt, zumindest für Menschen. Die zunehmende Komplexität der Versorgungsketten stellt den Logistiker von heute vor enorme Herausforderungen. Was wir von Tieren für die Begegnung mit diesen Herausforderungen lernen können? Integrierte Planung lohnt sich! Auch wenn Lagermitarbeiter wohl so schnell keine Nashörner durch Lagerhallen tragen werden (es werden allerdings schon Exoskelette im Schiffsbau getestet), kann eine gut abgestimmte Logistik den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bedeuten - mittels optimierter Versandprozesse, passender Lagerlayouts und stimmiger Softwarekonzepte.

Kennen Sie andere Beispiele für logistische Vorbilder in der Tierwelt? Planen Sie bereits integriert in Ihrem Unternehmen? Ich freue mich auf Ihre Antworten!


P.S.: Es gibt übrigens auch Tiere, die als Einzelkämpfer zu den Superhelden der Logistik zählen: Hummeln lösen das oben beschriebene Traveling-Salesman-Problem für ihren Weg zwischen den verschiedenen Blüten in einer Zeit, für die ein heutiger Supercomputer mehrere Tage benötigen würde. Sie gelten als einziges Tier mit dieser mathematischen Fähigkeit.

ÜBER UNSERE EXPERT:INNEN

Ludger Schuh

Geschäftsleitung

Ludger Schuh († 19.06.2017) war Mitglied der Geschäftsleitung bei der INFORM GmbH. Von 1993 - 2016 war er verantwortlich für die Produkte aus dem Bereich Inventory and Supply Chain. Im Januar 2017 hat er die Aufgaben des zweiten Geschäftsführers der INFORM GmbH übernommen.